Christian Rathmer:
1944/45: Aufbruch in unbekannte Zukunft

Im Waldhusener Forst ist kaum noch etwas zu sehen, viele wissen kaum noch etwas über das größte Flüchtlingslager Deutschlands am Ende des Krieges. Vielleicht waren das gerade die Gründe, die dazu führten, dass der Vortragsraum der Seniorenakademie überfüllt war, als der Historiker und stellvertretende Leiter des Industriemuseums Geschichtswerkstatt Herrenwyk, Christian Rathmer, die Geschehnisse nach 1945 vor den Toren Lübecks vorstellte.


Was Christian Rathmer darstellte, war beeindruckend, sowohl die Zahlen als auch die Photos und Erzählungen. Am Ende des 2. Weltkrieges waren die deutschen Städte zerstört, Menschen flüchteten vor den russischen Truppen, Einwohner der Ostgebiete wurden vertrieben, kriegsgefangene Soldaten aus den besetzten Gebieten wurden zurückgeführt. Dieser ungeheure Menschenstrom musste organisiert werden. Es war für diese Menschen ein Aufbruch in eine unbekannte Zukunft.
Durchgangslager wie Pöppendorf bildeten die erste Station auf dem Weg in die neue Heimat, die ihnen zugewiesen wurde. 620.000 (!) Menschen passierten Pöppendorf, eine Herausforderung für das britische Militär: Essen, Unterkunft, Hygiene, Registrierung, medizinische Betreuung, Entlausung, Gestaltung des Alltags (Schule, Bibliothek, Krankenversorgung…), Suche nach Angehörigen mussten zeitweise für 6.000 Ankommende täglich organisiert werde, Die Lübecker Bevölkerung musste die Versorgung in der Zeit übernehmen, als sie selbst wenig zu essen hatte – Zwist und Wut waren nicht zu vermeiden. Wie viele Flüchtlinge hier starben, weiß man nicht.
Für die „Passagiere“ der „Exodus“, die von den Briten aus Palästina zurückgeschickt wurden, musste im Lager Platz geschaffen werden. Baracken und Stacheldraht und bewaffnete Soldaten sahen die Überlebenden des Holocaust hier erneut, bevor sie auf internationalem Druck frei gelassen wurden. 

Der Bericht über die Folgen der nationalsozialistischen Barbarei hatte aufgrund der immensen Flüchtlingsbewegungen, die die Welt momentan erleben, eine erschreckende Aktualität. Die Forderung nach einem Erinnerungsort in Lübeck, die Christian Rathmer stellte, ist mehr als gerechtfertigt.


Text und Photos: Michael Leberke